Tourneepremiere: "Plötzlich letzten Sommer" mit den Theatergastspielen Kempf im Theater Hameln. Giftig grüne Schlingpflanzen aus Stoffbahnen, Philodendren und eine überdimensionale Venusfliegenfalle ranken auf der Bühne. "Ein gepflegter Dschungel", der symbolisch steht für die menschliche Seele und die in ihr herangezüchteten Eigenschaften. Große Käfige versuchen, die unbändigen Gewächse ebenso wie den emotionalen Wildwuchs der agierenden Figuren im Zaum zu halten. Wildnis statt Wohnzimmer im urwüchsigen Bühnenbild von Claudia Weinhart, das einen ganz eigenen Charme versprüht. Tennessee Williams' Schauspiel "Plötzlich letzten Sommer", mit dem die Theatergastspiele Kempf am Montagabend im Theater ihre Tourneepremiere feierten, besticht in der Inszenierung von Pia Hänggi durch seine Klarheit. Die Regisseurin hat viel Text gekürzt - und mit dem Stück ein wahres Schätzchen herausgeputzt. ![]() Die Zerstörung einer großen Lebenslüge Es ist eine Geschichte über die Einsamkeit, den Gegensatz von Illusion und Realität. Und über die Zerstörung einer großen Lebenslüge. Violet Venable hegt auch posthum eine besitzergreifende Liebe für ihren Sohn Sebastian, der - unberührt und untalentiert - in einem sklavischen Abhängigkeitsverhältnis zu ihr stand. Nur ihre Nichte Catherine hat seinen gewaltsamen Tod miterlebt - und wird von Tante Vi ins Irrenhaus verbannt, um Sebastians Ansehen nicht zu beschmutzen. Dr. Cukrowicz soll ihr - auf Violets Weisung - durch eine Operation "die grässliche Geschichte aus dem Kopf schneiden". Doch der Arzt gewinnt allmählich Catherines Vertrauen und bringt sie zum Reden. So kommt die Todesursache heraus: Sebastian wurde von hungernden Straßenkindern angegriffen und angefressen - und war längst nicht der keusche Saubermann, den Violet in ihm sah. ![]() Ein Stück der großen Worte Cordula Trantow spielt wunderbar die diktatorische Übermutter, die mit ihrem wahnsinnigen Lächeln selbst den Chirurgen (gut: Jacques Breuer) zu becircen weiß. Gebrechlich taumelt sie, von Kopf bis Fuß gehüllt in unschuldiges Weiß, nach der finalen Auseinandersetzung mit Catherine (trefflich: Stephanie Kellner) von der Bühne. "Plötzlich letzten Sommer" ist kein Stück der großen Tagen, sondern eines der großen Worte. So stehen die Gespräche im Mittelpunkt und die Schauspieler zumeist nur erstarrt auf dem Fleck. Was nicht weiter schlimm ist, denn Williams' Dialoge sind kräftig und voller Bilder ("schwarze, federlose, gierige Vögel"). Kein realistisches Stück, aber eines, das in dieser Inszenierung sehr spannend ist! Von Julia Marre DEWEZET Kultur, 24.01.07 |
Zum Stück "Plötzlich letzten Sommer" Rheinische Post vom 18.01.2006 Wegberg (dome). Absolut "up to date" zeigte sich das Theaterprogramm der Stadt Wegberg: Nur zwei Tage nach der Premiere in Taufkirchen gastierten die "Theatergastspiele Kempf" mit ihrer Produktion "Plötzlich letzten Sommer" im Wegberger Forum. Vor gut gefülltem Haus präsentierte das siebenköpfige Ensemble das packende Schauspiel von Tennesse Williams. Der Pulitzer-Preisträger beschreibt in dem Werk die Auseinandersetzung der reichen Violet Venable (Cordula Trantow) mit ihrer Nichte Catharine (Stephanie Kellner). Letztere war Augenzeugin des gewaltsamen Todes von Venables Sohn Sebastian. Mit ihrer Schilderung des Mords an Sebastian stellt sie das Bild des von seiner Mutter als Dichter dargestellten und vergötterten Sohns in Frage und entlarvt ihn als gescheiterte, innerlich zerfressene Persönlichkeit. Violet Venable versucht Catharine zum Schweigen zu bringen, indem sie sie in eine Irrenanstalt sperren lässt und den Arzt Dr. Cukrowicz (Jaques Breuer) durch Bestechung überzeugen will, bei Catharine einen chirurgischen Eingriff im Gehirn vorzunehmen. Dem Schauspielensemble gelang es schnell, das Wegberger Publikum mit der Energie der Dialoge Tennesse Williams zu packen. Vor allem Cordula Trantow als eitle und realitätsferne Violet Venable sowie Stephanie Kellner als zwischen Wahn und Wirklichkeit schwebende Catharine überzeugten mit ihren ausdrucksstarken Leistungen. Dank des engagierten Spiels aller Akteure wurde die Zweideutigkeit des Schauspiels sichtbar: "Plötzlich letzten Sommer" ist zugleich ein packender Psycho-Thriller über die Demaskierung von Wunschbildern und ein philosophischer Diskurs über die Suche nach einem grausamen Gott, ausgedrückt in wiederkehrenden Motiven wie Licht und Schatten und unheimlichen fleischfressenden Vögeln. Das Wegberger Publikum nahm sowohl die schauspielerische Leistung als auch die philosophischen Anregungen positiv auf und spendete reichlich Beifall für einen gelungenen Theaterabend. |
"Plötzlich letzten Sommer" sättigt Bürgerhaus mit düsterer Atmosphäre Von Manfred Stanka, Münchner Merkur vom 18.01.2006 Taufkirchen Woran die Menschen leiden, das ist die Krankheit Leben. Schuld tragen sie nicht, sie finden ihren Unterschlupf in den Höhlen eines mit vegetativer Geilheit wuchernden Tropengartens jenseits von Eden und auf der Bühne des Taufkirchner Ritter-Hilprand-Hofs. Es bleiben diesen Ausgestoßenen ihre Träume, Sehnsüchte und Lebenslügen: Regisseurin Pia Hänggi sättigt die Atmosphäre von Tennessee Williams' "Plötzlich letzten Sommer" mit Zeichen, bis die Luft vor Nuancen brennt. Blicke, Gesten und Tempo dienen zur Beglaubigung geheimer Herrschsucht, sexueller Rivalität, von Verrat und inzestuösem Verlangen. ![]() Das 1958 am Broadway uraufgeführte Stück ist in seiner grellen Farbsymbolik ein von Kannibalismus zerfressener Albtraum. Und immer wieder findet Williams Bilder vom "Fressen und Gefressenwerden" - so als habe er mit Friedrich Nietzsche, Charles Darwin, August Strindberg und nicht zuletzt Charles Baudelaire die Blumen des Bösen gepflückt. Manches an der theatralischen Morbidezza, in deren Umfeld an einem Tag Lebenslügen aufgedeckt werden, wirkt vorgestrig und angestrengt. Aber die ausgelassene Freude an der menschlichen Not, die sich mit Mitgefühl paart, treibt die unter Hochspannung stehenden Figuren in die Gewitterwolke einer Krise. Plötzlich im letzten Sommer unternahm Sebastian seine alljährliche Reise ohne die Mutter. Bislang Muse und indirekt Kupplerin für den blond gelockten, menschenscheuen Ästheten mit den abgestorbenen Empfindungen, wird die mondäne, selbstsichere Mrs. Venable aufs Altenteil geschoben. ![]() Cathy wird nun ihre Rolle übernehmen: Dank ihrer Schönheit ist sie nun der Lockvogel für die `Gesellschaften. In einem mexikanischen Ferienort sind es die ausgehungerten Halbwüchsigen, die Sebastians Gier wecken, und in einem rituellen Akt aus Blut und dem Dreck der Straße werden sie ihren Gönner mit scharfen Blechdosen und Messern opfern. In einer perversen Kommunion verschlingen sie Stücke seines Fleisches. Cathy als Zeugin erleidet einen Schock. Dieses Bild gefriert in ihr zu Eis, und sie will es loswerden, es jedem ins Gesicht schreien: "Ich kann die Wahrheit nicht ändern, ich bin nicht Gott, und er selbst könnte es nicht." Das Gedächtnis wie in Geschwür herausschneiden. Also wird das Mädchen, deren Güte nicht zu ersticken ist, in ein Irrenhaus gesteckt. Dr. Cukrowicz als Kapazität der Neurologie soll ihr das Gedächtnis wie ein Krebsgeschwür herausschneiden. Cordula Trantow ist Mrs. Venable: Ihr glattes Gesicht erstarrt in cooler Arroganz und in Angewidertsein über ihre erbschleicherische Verwandtschaft. Dann wieder versprüht sie Charme, und nur eine sparsame Bewegungssprache, das Zittern einer Hand, die rastlosen Blicke verkünden die innere Erregtheit. Ihr Gegenpart ist Stephanie Kellner als Cathy. Sie ist glaubwürdig im Strudel stärker Leidenschaften und von famoser Selbstbehauptungs-Präsenz geprägt. Jaques Breuer setzt auf die unauffällige Präsenz des Beobachters inmitten eines hervorragenden Ensembles. |
Tennesse Williams' "plötzlich letzten Sommer" mit dichter schauspielerischer Atmosphäre in der Speyerer Stadthalle Die Rheinpfalz - Ellen Korelus-Bruder Speyer Atemlos verfolgen die Zuschauer am Freitagabend in der Stadthalle die zweistündige Demaskierung eines Lebens und seines mysteriösen Endes "Plötzlich letzten Sommer". Tennessee Williams' Schauspiel in vier Bildern um gnadenlose Liebe, Habgier, Macht, Angst und Verzweiflung wird von Regisseurin Pia Hänggi dramaturgisch wirksam in Szene gesetzt und von hervorragenden Schauspielern eindrucksvoll präsentiert. Die Entlarvung findet ausschließlich in Sebastians Garten statt, dem vergangenen Sommer auf rätselhafte Weise verstorbenen Sohn der Mrs. Violet Venable (Cordula Trantow). Claudia Weinhardt gelang mit ihrem exotisch orientierten und mit ästhetisch schönem Südstaaten-Mobiliar ausgestatteten Bühnenbild der Spannungsbogen zu dem unerbittlichen Geschehen unter Bananenbäumen und Palmen in New Orleans. ![]() Cordula Trantow malt in der Rolle der 40 Jahre bis zur Hörigkeit vergötterten und dominierenden Mutter und alles und alle mit Geld kontrollierenden "Tante Vi" das Schreckensbild einer herrschsüchtigen Frau. Lediglich Nichte Catherine (Stephanie Kellner) kratzt an der bisher aufrecht erhaltenden Fassade aus Lebenslügen. Die Angst um die Reputation ihres Sohnes und damit den eigenen Persönlichkeitswert drückt Cordula Trantow in Körpersprache und Stimme äußert authentisch aus. Skrupellos bietet sie dem Gehirnchirurgen Dr. Cukrowicz (Jaques Breuer) die Nichte als Versuchsobjekt für seine medizinischen Forschungen an. Voller - glänzend dargestellter - Gewissenskonflikte geht der Arzt, der sich auch "Dr. Zucker" nennt, auf das Angebot ein und findet auf angedeutet hypnotischem Weg Catherines Vertrauen. Die verzweifelte Suche der jungen Frau nach Wahrheit und Liebe spielt Stephanie Kellner derart intensiv, dass aus den Zuschauerreihen kein Laut dringt. Er habe sie gemocht, und dafür habe sie ihn geliebt, erklärt Cathy ihre Beziehung zu dem Cousin, dessen letzten Tage sie mit ihm verbracht hat. Niemand will ihre Wahrheit hören, natürlich nicht die Tante, die einfältige Mutter (Antoinette Wosien), der Bruder (Kevin Kölker), dessen Charakterstärke unmittelbar vor der Aussicht auf materiellen Wohlstand halt macht. Cathy konfrontiert die Familie, den Arzt und die Zuschauer mit einer Realität über Sebastian, die in krassem Gegensatz zu dem bisher von seiner Mutter vertretenen Bild des unberührten, den schönen Künsten, zugeneigten Sohnes steht. Vor Kälte, Angst und Schrecken unablässig bebend, spielt Stephanie Kellner die Rolle der Cathy mit einer Leidenschaft, die fast körperlich auf das Publikum übergreift. "Schneiden Sie ihr diese grässliche Geschichte aus dem Hirn", schreit Violet voller Entsetzen. "Wir müssen die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass diese Geschichte wahr sein könnte", gesteht Dr. Zucker am Ende eines Schauspiels, dessen grausame Wirklichkeiten bestehen bleiben, auch wenn das Ende der Geschehnisse des "letzten Sommers" offen bleibt. |