Theatergastspiele Kempf GmbH
Ein Inspektor kommt
SCHAUSPIEL VON JOHN B. PRIESTLEY 
An Inspector Calls
 
Spielzeit 2006:
11. November bis 10 Dezember 2006
 
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Genialer Regieeinfall
Die Zuschauer erlebten in der Realschule eine ausgezeichnete Aufführung von "Ein Inspektor kommt" mit herausragenden Leistungen der Schauspieler.

Bisher ist der Kulturverein um sein glückliches Händchen bei der Auswahl des Programms für die Saison 2006/2007 zu beneiden! Auch das Ensemble der Theatergastspiele Kempf erfüllte mit John B. Priestleys "Ein Inspektor kommt" die Erwartungen des inzwischen schon verwöhnten Publikums im Übermaß.
Zumal sich die Darsteller nach der Vorstellung beim Kulturstammtisch im Hotel "Zur Eich" dem Dialog mit interessierten Zuschauern stellten. Dieses Mal war nicht genug Platz für alle, die gerne daran teilgenommen hätten und nun verpassten, dass sich Horst Sachtleben für die Einladung zu diesem Stammtisch im Namen seiner Kollegen bedankte.
 
Priestleys bekanntestes, kurz nach dem Krieg entstandenes und erstaunlicherweise in Russland uraufgeführtes Stück widmet sich in zeitloser Aktualität der Frage, wie weit scheinbare Zufälligkeiten in der Gesamtsumme verschiedene Menschen schuldig werden lassen am Tod einer jungen Frau.
Da platzt ein Inspektor Goole (brillant: Horst Sachtleben) in die Verlobungsfeier von Sheila (sehr überzeugend: Stefanie Haller), Tochter des neureichen Unternehmers Arthur Birling (Jörg Reimers gibt ein Patentekel) mit dem adelsetablierten Gerald Croft (souverän: Wolfgang Seidenberg). Er konfrontiert die Gesellschaft mit dem grauenhaften Selbstmord einer jungen Frau und weist jedem in der Runde seine indirekte Mittäterschaft nach. Besonders Sibyl Birling, die Dame des Hauses - Angelika Auer mimt sie auch noch im Zusammenbruch kühl bis an die Haarspitzen - weigert sich nicht nur, eigene Schuld zu akzeptieren, sondern fordert gnadenlose Bestrafung dessen, der die junge Frau geschwängert und allein gelassen hat.
Anders als Tochter Sheila, die begreift und bereut, erkennt sie nicht, dass dieser Schuldige ihr versoffener Sprössling Eric (stark: Alexander Wipprecht) ist. Wie ihr Mann ist Sybil nur zu gern bereit, das Erlebte als Fiktion und bösartige Täuschung abzutun, als sich herausstellt, dass es weder einen Inspektor Goole gibt noch eine Selbstmörderin. Nur Sheila und Eric zeigen sich echt betroffen und schuldbewusst.
 
Für alle Beteiligten verändert sich die Situation schlagartig durch einen Anruf, der den Besuch des Selbstmordes einer jungen Frau ermittelt… Was diese Inszenierung des viel gespielten Stückes wesentlich von anderen unterscheidet und sie in besonderem Maße heraushebt, ist die ungewöhnliche Harmonie von ausgezeichneten Dialogen, faszinierendem Bühnenbild (Andrey von Schlippe) und einem genialen Regieeinfall. Die karge Staffage aus schrägem Tisch und unterschiedlich hohen Stühlen vor einem Rollohintergrund, der eine zweite Spielebene verbirgt, wird immens aufgepeppt durch eine verglaste Seitenwand, die immer wieder gerade abwesende Figuranten quasi als anwesende Visionen spiegelt.
 
Schlicht genial ist die vom Autor nicht vorgesehene Einbindung einer Kontrabassistin (Adelina Filli), die unverkennbar für die tote junge Frau steht. Dass bei aller intellektuellen Tiefe des Stückes auch der Humor nicht fehlen muss, ist gerade auch Horst Sachtlebens Darstellung zu danken. Die deutsche Stimme des Inspektor Columbo zeichnet den vermeintlichen Schussel-Kriminalisten auch mimisch unverkennbar in gut dosierten Einsprenkelungen.
 
Von Hartmut Engelbrecht
 
Wermelskirchener Generalanzeiger, 20.11.06
 
   

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Beklemmender Columbo für Anspruchsvolle
Ein Kartenhaus aus Macht und Eitelkeit bricht ein: Packendes Kriminalstück von John Priestley hielt die Peiner Festsäle in Atem

PEINE. "Wir sind füreinander verantwortlich. Die Zeit wird kommen, in der die Menschen das lernen werden unter Feuer und Blut und Tränen" lautet die Lektion, wenn "Ein Inspektor kommt". In die Festsäle nämlich.
 
Bedrückend, das Schauspiel von John B. Priestley, das die Theatergastspiele Kempf mit großem Einfühlungsvermögen am Freitagabend aufführten. Es entlarvt Konventionen und Rücksichtslosigkeit in Person des Inspektors. Überzeugend Horst Sachtleben, sämtliche Columbo-Klischees erfüllend, in der Rolle. Er platzt in die scheinbare Idylle der Industriellenfamilie Birling, die gerade die Verlobung von Tochter Sheila mit Gerald Croft, adliger Sohn eines Geschäftskonkurrenten, feiert. Selbstzufriedenheit wird zelebriert - bis der Inspektor mit seiner unerbittlichen Untersuchung des Selbstmordes einer jungen Frau beginnt und das allmählich wankende Kartenhaus von Selbstsucht und Eitelkeit zum Einsturz bringt.
 
Dramatisch spitzt sich das Geschehen zu, als jeder einzelne nach und nach seine Mitschuld daran eingestehen muss: Der gewinnsüchtige Vater, der das Mädchen wegen Lohnforderungen aus seiner Fabrik entlässt. Die herablassende und auf die anschließend als Verkäuferin arbeitende hübsche Frau eifersüchtige Tochter, die für ihre Entlassung sorgt. Ihr Verlobter, der sie hernach als Geliebte missbraucht. Der feige, trunksüchtige Sohn, der sie schwängert. Einzig nichtschuldig und am Zerrbild ihrer heilen Welt und nach außen hin schöner Fassade festhaltend fühlt sich die hartherzige Mutter. Sie hat als Vorsitzende des Vereins "Frauen in Not" dem Mädchen jegliche Hilfe verweigert.
 
Nach Abgang des Gewissen erforschenden und moralische Schuld einfordernden Inspektors stellt sich heraus, dass es ihn und seine Leiche gar nicht gibt. Rasch legt man sich wieder seine Lebenslügen zurecht, die von Schuldzuweisung freisprechen - bis zu dem Anruf aus dem Polizeipräsidium, der vom Selbstmord einer jungen Frau kündet und davon, dass ein Inspektor kommt.
 
Der als Anwalt der Toten bei seinen Inquisitionen die beklemmend aufspielende Kontrabassistin konsultierte - gleichsam als moralische Gewissensinstanz in dem durch Spiegelwände abgegrenzten und somit das Thema erhöhenden Bühnenbild. In ihnen reflektierte sich die gebrochene Gesellschaft wie im Jüngsten Gericht, sah auf und durch die Kette von Umständen, das Selbst, Schuld, das erotische Intermezzo und den lückenhaften Erinnerungstango hinter der die Fassade symbolisierenden Jalousie. Brillant.
 
Von Iris N. Masson
 
Peiner Nachrichten, 20.11.2006
 
   

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Die unerträgliche Leichtigkeit des Scheins
Begrabene Moral und Werteverfall in "Ein Inspektor kommt" in den Festsälen

Peine. Ehne mehne muh - und Schuld bist du - dass Eva Smith tot ist! Durch Selbstmord mit einem Reinigungsmittel. Inspektor Goole konfrontiert die steif-fröhliche Verlobungsfeier im kleinen Kreise bei der Fabrikantenfamilie Birling mit der Todesnachricht einer unbedeutenden jungen Frau - und schwärzt unnachgiebig blütenweiße Westen mit Verantwortungslosigkeit und Ignoranz - denn jeder am Tisch, so ergibt sich aus dem Tagebuch des Opfers, hat dessen Würde zu Lebzeiten mit Füßen getreten.
 
So begann "Ein Inspektor kommt" von John Boynton Priestley, präsentiert von den Theatergastspielen Kempf in den Festsälen - ein verstörendes Drama um begrabene Moral und eine unerträgliche Leichtigkeit des Scheins.
  Er ist zuerst einfach nur lästig, dieser Inspektor mit den Gesichtsfalten, die so tief sind, wie die seines Trenchcoats. Horst Sachtleben erinnert in dieser Rolle eingangs an einen Seniorenheim-Columbo, bis er rollengemäß seine Informationsvorsprünge so unbarmherzig wie brillant ausspielt. Gegen Unternehmer Arthur Birling beispielsweise, profitgierig und titelgeil, bestürzend authentisch durch Jörg Reimers dargestellt. Oder gegen Wolfgang Seidenberg als Schwiegersohn in spe Gerald Croft: Anzumerken ist Seidenbergs engagierter Darstellung nicht, dass er seine schauspielerische Potenz gelegentlich an TV-Serienschmarrn verschwenden muss. Stefanie Haller als Unternehmertochter Sheila startet im ersten Drittel zwar verhalten, wirkt dafür im Rest umso intensiver. Nein, schauspielerisch ist nichts zu beanstanden in Barry L. Goldmans Inszenierung.
 
Selten wurde allerdings in den Festsälen ein symbolisch derart verdichtetes Bühnenbild errichtet. Andrey von Schlippe hat damit eine Spiel-Umgebung geschaffen, die das Mitdenken des Publikums anregt, Schwarz-Weiß-Denken auf der Bühne beklemmend unterstreicht. Dies multipliziert mit der innovativen Szenen- und Bühnenbeleuchtung und der mimischen Kraft unterstreicht die Tragweite. Im hinteren Bühnenteil lässt Goldman schemenhaft hinter Jalousien aufglühen, was seine Regie-Innovation zusätzlich so bemerkenswert macht: Beispielsweise, wenn Alexander Wipprecht als lebensuntüchtiges Unternehmersöhnchen weinerlich vom Ergebnis seiner alkoholumnachteten Begattungsaktion berichtet, und seinem Versuch, Verantwortung für seiner Vaterschaft mit geklautem Bargeld aus dem Familienvermögen zu übernehmen.
 
Die Überraschung des Abends und Sahnehäubchen der Inszenierung aber ist die studierte Jazz-Musikantin Adelina Filli, die auf unterschiedlichen Bühnenpositionen mit archaischen Klängen ihres Kontrabasses während der Befragung durch Goole gleichsam den Geist der toten Eva beschwört. Wie zufällig wirkt dabei die stille Zwiesprache mit dem Inspektor.
 
Mit dieser Inszenierung ist es wie mit einem Film, den man sich gleich mehrfach ansieht, um versteckte, fast unsichtbare Symbole und Andeutungen noch reibungsloser in das Handlungsmosaik einzufügen. Priestleys Plot besteht aus Dutzenden von zu Recht erhobenen Zeigefingern. Goldman verlockt das Publikum danach zu greifen, bis es erschreckt loslässt, wenn zum Schluss das Telefon klingelt. Prädikat: Gleich noch einmal anschauen…
 
Ulrich Jaschek
 
Peiner Allgemeine Zeitung, 20.11.06
 
   

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Was ist Wahrheit?
Welche Auswirkungen haben unsere kleinen und großen Fehler, unsere unabsichtlichen und beabsichtigten Untugenden? Das Theaterstück "Ein Inspektor kommt", regte zum Nachdenken an.

Eine junge Frau setzt eine Flasche an den Mund und trinkt. Später wird es den Zuschauern des Theaterstücks "Ein Inspektor kommt" von John B. Priestley klar: Das war ein grausamer Selbstmord. In der Flasche gluckerte Reinigungsmittel. Wer hat Schuld? Wir alle. Natürlich nicht im buchstäblichen Sinn. Aber im Sinn dieses Theaterstückes. Welche Auswirkungen haben unsere kleinen und großen Fehler, unsere unabsichtlichen und beabsichtigten Untugenden? Der Unternehmer Arthur Birling hat die junge Frau als unbequeme Mitarbeiterin entlassen, seine Tochter Sheila als unzufriedene Kundin den Hinauswurf der Frau verlangt, ihr Freund Gerald Croft die Mittellose einen Sommer lang als Geliebte gehalten; Sheilas Bruder, der Säufer Eric, hat sie zum Zeitvertreib benutzt und geschwängert, und Birlings Ehefrau Sybil ihr im Wohlfahrtsausschuss hartherzig jegliche Unterstützung verweigert: "Nur" eine Kette von Gedankenlosigkeiten?
 
Ein unverhofft auftauchender Inspektor reißt dieser Allerweltsfamilie die Maske vom Gesicht und entlarvt durch geschickt bohrende Fragen ihren gedankenlosen Egoismus. Das alles könnte fürchterlich moralisch und sentimental daherkommen - ist aber in der Inszenierung von Barry L. Goldman und durch die Leistung des Ensembles großes Theater. Schon allein, wie Horst Sachtleben den Inspektor zynisch und zugleich erschüttert in Szene setzte, war eine Reise von den Theaterhautpstädten des Landes nach Wermelskirchen wert.
 
Aber nur einen Darsteller zu nennen, hieße die Leistungen der anderen herabwürdigen. Jörg Reimers als aalglatter Unternehmer verleitete jeden Zuschauer dazu, klammheimlich die Fäuste zu ballen, und Angelika Auer als seine Frau ließ durchweg die Köpfe in der Aula von Abscheu schütteln. Stefanie Haller in der zwiespältigen Rolle der Tochter Sheila begleiteten sämtliche guten Wünsche des Publikums.
 
Würde die Tochter es schaffen, das eigene Elternhaus angeekelt zu verlassen? - das blieb selbst in der heißen Diskussion am Kulturstammtisch offen. Dass das schlechte Gewissen ihres Bruders Eric - von Alexander Wipprecht verkörpert - ihn jetzt erst recht in den Säufertod führen würde, war allen klar; und "Marienhof"-Star Wolfgang Seidenbergs bigotter Figur Gerald Croft wünschte niemand mehr zukünftiges Glück. Dazu huschte die Musikerin Adelina Filli als Geist der Toten mit dem Kontrabass und seinen tiefen Tönen bedrohlich über die Bühne.
 
Das alles vor perspektivisch veränderter Kulisse; jede Figur bekommt so ihre eigene Sichtweise und "Wahrheit". Am Ende schien gar kein Selbstmord passiert zu sein - der Inspektor womöglich nur ein Trugbild - da klingelte das Telefon: Der Inspektor komme wegen des Selbstmordes einer Frau…
 
Von Bernd Geisler
 
Bergische Morgenpost, 20.11.06
 
   

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Überaus packende "Seelenverhöre"
Zum Stück "Ein Inspektor kommt"

Von Helmut Maaß, Fuldaer Zeitung vom 29.11.2005
PETERSBERG - Die Akustik spielte eine wichtige Nebenrolle bei der spannungsreichen Aufführung von John B. Priestleys Kriminalschauspiel "Ein Inspektor kommt" im Petersberger Propsteihaus. ... Die Kriminalverhöre im Schauspiel wurden untermalt mit Kontrabassklängen.
 
Priestleys Kriminalstück beschäftigt sich mit der Lieblosigkeit und Kälte unserer bürokratisch "durchsozialisierten" Wohlstandsgesellschaft. Priestley richtet die Aufmerksamkeit auf einen in seinen Kausalzusammenhängen komplizierten Sozialfall unter der direkten Verantwortung der so genannten "guten Gesellschaft". Das Verhör eines angeblich polizeilichen "Seeleninspektors" oder auch Hochstaplers unterzieht eine britische Unternehmerfamilie einer "hochnotpeinlichen" Untersuchungsbefragung nach dem Selbstmord einer jungen Frau aus der Unterschicht. Alle Familienangehörigen die eigentlich eine standesgemäße Familienkonzern-Verlobung feiern wollten, müssen beim raffinierten Verhör des angeblichen Polizeiinspektors nach und nach ihre Mitschuld an dem Selbstmord der Arbeiterin gestehen.
 
In langer "Kausalkette" werden da Kündigung wegen Gehaltsforderungen, üble Nachrede gegen eine Verkäuferin und Verführungen des Mädchens durch die Söhne aus "guten Häusern" als Ursachen abgehandelt. Als der seltsame Inspektor sein "Seelenverhör" endlich aufgibt und verschwindet, wird die unterbrochene Familienfeier zunächst fortgesetzt bis das Telefon schrillt und den Besuch eines wirklichen Polizeiinspektors ankündigt. Priestleys Dramatik bewegt sich auf den Bahnen des "epischen Theaters" mit dem Hin und Herschalten der Zeit, mit dem Aneinandervorbeireden oder der analytischen Durchleuchtung des Kausalitätsprinzips. Der in München lebende amerikanische Regisseur Barry Goldman hat für die Münchner Theatergastspiele Kempf eine spannungsgeladene, zupackende und dynamische Inszenierung geschaffen.
 
Horst Sachtleben spielte den hartnäckig befragenden nervös zerknirschten Inspektor. Angelika Auer rauschte mit vollen Segeln einer typischen britischen "Gesellschaftsfregatte" über die Bühne. Jörg Reimers übernahm die nüchterne "Kapitalistenrolle" des Unternehmers Birling, Stefanie Haller war die enttäuschte Unternehmertochter und aufgebende Verlobte Sheila Birling.
Alexander Wipprecht und Johannes Pfeifer spielten die Unternehmersöhne mit gutem Einfühlungsvermögen. Adelina Filli, eine erfahrene Jazz- und Bigbandmusikerin ließ den Kontrabass locken, kratzen oder auch "klopfen".
Das nüchterne wintergartenartige Stilbühnenbild Andrey von Schlippe gab den praktischen Konstruktionsrahmen zu dem trick- und gagreich konstruierten analytischen Drama. Der lockere Zeitfluss des "epischen Dramas" wurde mit Szenenspiegelungen auf der hinteren Bühnenwand angedeutet. Die Akteure erhielten lebhaften, lang andauernden Beifall für die packende Aufführung.
 
   

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Ein brillant konstruierter Bühnen-Thriller
"Der Inspektor kommt" hinterfragt Machtmissbrauch und Moralvorstellungen

Von Björn Othlinghaus, Lüdenscheider Nachrichten vom 29.11.2005
LÜDENSCHEID
Eine gut situierte Familie, ein Abend in trauter Gemeinsamkeit: Tochter Sheila Birling (Stefanie Haller) feiert ihre Verlobung mit Gerald Croft (Johannes Pfeiffer). Der mysteriöse Inspektor Goole (Horst Sachtleben) stört die Runde jedoch bringt Blut, Schweiß und Tränen über die reiche, machtbewusste Musterfamilie.
 
Auf spannende Weise hinterfragt der britische Autor John B. Priestley in seinem brillant konstruierten Thriller "Der Inspektor kommt", der am Sonntag in der Fassung der Theatergastspiele Kempf im Kulturhaus zu sehen war, soziale Gleichgültigkeit, Machtmissbrauch und gängige Moralvorstellungen. Eine junge Frau, Eva Smith, habe Selbstmord begangen, erklärt der Inspektor, und alle Beteiligten sollen einen Teil zu dieser Kurzschluss-Tat beigetragen haben. Vater Arthur (Jörg Reimers) kündigte ihr wegen einer Nichtigkeit, Tochter Sheila sorgte für Evas Rauswurf beim neuen Arbeitgeber. Sowohl Sheilas Verlobter Gerald als auch ihr alkoholkranker Bruder Eric (Alexander Wipprecht) hatten mit der Toten ein Verhältnis, aus letzterem entstand ein Kind. Mutter Sybil (Angelika Auer), Vorsitzende eines Vereins für in Notgeratene Frauen, wies Evas letzten Hilferuf ab.
 
Die Familie im Stück, das zeitlich Anfang des 20. Jahrhunderts angesiedelt ist, bildet einen sozialen Mikrokosmos, der Allgemeingültigkeit hat und zur Reflexion über eigene Denkweisen anregt. Die Inszenierung des US-Amerikaners Barry L. Goldman überträgt vorzüglich die Spannung und psychologische wie dramaturgische Dichte des Werkes auf die Bühne. Ähnlich wie die Farben des klar strukturierten Bühnenbildes (Andrey von Schlippe) - schwarz und weiß - stellen sich die Denkmuster dar.
Inspektor Goole überrollt die Beteiligten mit Konsequenz, Cleverness und Härte, sodass niemand die Möglichkeit bekommt, die Identität des schnoddrig gekleideten Mannes zu hinterfragen. Goole wirkt fast wie Fernsehinspektor Colombo, wenn auch wesentlich grimmiger, und ist das ausgleichende Element zwischen Arm und Reich. Der Inspektor lässt der scheinbar besseren Gesellschaft die verdiente Strafe für Verfehlungen zuteil werden.
 
Inthega-Preisträger Horst Sachtleben stellt den Inspektor akzentuiert als zunächst ruhige, aber unberechenbare Persönlichkeit dar, die die Familienmitglieder mit unerwarteten, wohlgesetzten Attacken aus der Fassung bringt. Adelina Filli bedient derweil als Live-Musikerin den Bass, ist mal hier, mal da auf der Bühne platziert und manchmal scheint es, als würde der Inspektor stumm mit ihr kommunizieren und um akustische Unterstützung für die Attacken gegen die Familie bitten. Derartige originelle Regieeinfälle, unter anderem auch die schemenhafte Darstellung vergangener Ereignisse im Hintergrund tragen zur unheimlichen Stimmung bei.
Erst als der mysteriöse Fremde gegangen ist, hinterfragt die Familie seine Geschichte und Identität. Dass es letztlich keinen Inspektor Goole gibt, ist dabei zweitrangig. Dass "Eva Smith" doch nur ein Konglomerat aus Frauen war, mit denen die Familie Kontakt hatte, hebt die Stimmung der Eltern, während die Kinder nun Selbstkritik üben. Die Leichen der Birlings scheinen im Keller zu bleiben - bis das Telefon klingelt.
 
   

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Abgründe hinter netter Familienidylle
"Ein Inspektor kommt": Theatergastspiele Kempf mit brilliantem Ensemble im Kulturhaus

Von Monika Salzmann, Westfälische Rundschau vom 29.11.2005
Lüdenscheid - Bunte Luftballons und Luftschlangen, merkwürdig deplatziert, sind die einzigen Farbtupfer in der Schwarz-Weiß-Malerei der Kulissen und Kostüme. Äußerlich reine Weste - innerlich dunkle Geheimnisse?
 
Die Ausstattung des Schauspiels "Ein Inspektor kommt", am Sonntagnachmittag von den Theatergastspielen Kempf (Grünwald) im Kulturhaus zur Aufführung gebracht, deutet Abgründe hinter netter Familienidylle an.
 
Dumpf klagen bizarre, pochende Kontrabassklänge an. Wie durch Glas - wieder zu finden in der großen, durchsichtigen Fensterfassade - blickt der Inspektor ins Innere der ach so feinen Protagonisten, die mittelbar oder unmittelbar Schuld am Selbstmord eines jungen Mädchens tragen. Nein, heil ist diese Welt, in der selbst der leicht ansteigende Tisch und die Stühle in unterschiedlicher Höhe aus dem Gleichgewicht geraten zu sein scheinen, ganz und gar nicht.
Moralvorstellungen hinterfragte ein brillant aufspielendes Ensemble - voran Horst Sachtleben als Inspektor Goole, der kein Inspektor war - auf beklemmende Art. Unnachgiebig, nicht abzuschütteln und nicht zu beirren, legte der Inspektor auf wunde Stellen der Gesellschaft seinen spitzen Finger und konfrontierte achtbare, wohlhabende Bürger mit ihrer Schuld. Erschreckend, was hinter der auf Äußerlichkeiten bedachten Fassade an Gleichgültigkeit und Skrupellosigkeit zum Vorschein kam….
 
Ausgerechnet in die Verlobungsfeier der verwöhnten Sheila Birling aus gutem Haus, mit dem jungen nicht minder wohlhabenden Gerald Croft platzte der vermeintliche Polizist, der mosaikartig das von allen verwundete, zerstörte Leben eines jungen Mädchens aufrollte hinein. Einen nach dem anderen knöpfte er sich vor und brachte eine heile Welt zum Einsturz. Kaum war er weg, wischten die Älteren alle Skrupel beiseite und enttarnten die Geschichte vom toten Mädchen als Bluff - bis das Telefon klingelte und die Polizei tatsächlich den Selbstmord einer jungen Frau meldete. Allein bei Sheila (entsetzt über sich selbst: Stefanie Haller) und ihrem Bruder Eric (unreif und lebensuntüchtig: Alexander Wipprecht), regte sich das Gewissen.
 
Mit bohrendem Blick und sorgsam konstruierten Fangfragen verlieh Horst Sachtleben eindrucksvoll dem Forschen des Inspektors Nachdruck. Jörg Reimers mimte großspurig den Machtmenschen Arthur Birling, der nicht seine Schuld, sondern allein den in Aussicht stehenden Adelstitel Auge behielt. Zu Eis gefrieren ließ Angelika Auer als uneinsichtige Sybil Birling. Johannes Pfeifer sonnte sich als Gerald Croft auf der Sonnenseite des Daseins. Nicht zuletzt in der Musik (Adelina Filli) war das tote Mädchen auf der Bühne gegenwärtig.
 
   

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Jeder hat Schuld
"Ein Inspektor kommt": Gelungene Premiere im Haus der Kultur

Von Kurt Feichtinger und Ursula Horner, Mühldorfer Anzeiger vom 24.11.2005
Es sind oft die kleinen Dinge, die ein Leben verändern: Eine pampige Beschwerde hier, ein unangenehmes Mitarbeitergespräch dort, dazwischen ein schlecht gelauntes "Nein", wo auch ein "Ja" nichts geschadet hätte. Nur selten denken wir intensiv über so manche Entscheidung und ihren Einfluss auf das Leben eines anderen nach.
 
Genau darum dreht sich das Theaterstück "Ein Inspektor kommt", das im Waldkraiburger Haus der Kultur eine - so viel sei verraten - gelungene Premiere gefeiert hat. John B. Priestly hat das gesellschaftskritisches Stück aus dem England der 40er-Jahre geschrieben, das für die über 500 Besucher im großen Saal vor allem zum Ende hin so manche Überraschung bereithielt.
Würde dieses Schauspiel so vorgetragen, wie wir es gewohnt sind - zu sehen in "Der ideale Gatte" (O. Wilde) oder "Der Kreis" (Summerset-Maugham) - wäre der Abend so vorhersehbar wie ein Fernsehkrimi. Doch dieser längere Einakter - präsentiert von den Theatergastspielen Kempf - wurde dank wirklich großer schauspielerischer Geste und Präsenz aller Beteiligten bis zur griechischen Tragödie gesteigert. Freie Improvisationen am Bass (Adelina Filli) und Akzente am Schlagzeug verstärken diesen Eindruck.
 
Die Tragödie beginnt fröhlich. In die Verlobungsfeier im kleinen Kreis bei einer englischen Oberschicht-Familie platzt der Inspektor (Horst Sachtleben) herein und berichtet von dem Selbstmord einer jungen Frau. Er führt den Familienmitgliedern vor, inwieweit jeder Einzelne von ihnen moralische Schuld in diesem Fall auf sich geladen hat. Der Vater (Jörg Reimers) zum Beispiel hat die Frau um ihren Job gebracht. Die Braut (Stefanie Haller) hatte durch ihre Beschwerde dafür gesorgt, dass die angeblich Tote einen anderen Arbeitsplatz verloren hatte. Dazu die beiden jungen Herren (Alexander Wipprecht und Johannes Pfeifer), von denen jeder schon ein Verhältnis mit ihr hatte. Und natürlich die Mutter (Angelika Auer), die mit ihrem Wohltätigkeitsverein der Schwangeren die Unterstützung verweigert hatte. Da sind sie wieder, die kleinen und großen Entscheidungen des Alltags die nicht nur unser Leben beeinflussen. Wie bei Sophokles haut diese Inszenierung dem Zuschauer die Schuldfrage in packender Weise an den Kopf. Durch die schrittweise Entlarvung der Personen wird auf der Bühne ein Schicksal nachgezeichnet, das unausweichlich in einem tragischen Höhepunkt enden muss. Und doch: Das Ende ist mehr als überraschend.
 
Das klare, fast sachliche Bühnenbild und die wenig bunten Kostüme im zeitlosen Stil der 50er-Jahre betonen die Ernsthaftigkeit des Stoffes. Und so bleibt der Eindruck von einem fesselnden Stück, das zum Nachdenken anregt. Mehr als sehenswert.
 
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