Theatergastspiele Kempf GmbH
Harper Regan
Schauspiel von Simon Stephens

2. Tournee:
9. November bis 30. November 2011
 
1. Tournee:
Premiere am 10. Januar 2011 in Schweinfurt
10. Januar bis 6. März 2011
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Ungewöhnliche Verwandlung
Marion Kracht lotete die Emanzipation der Harper Regan mit großer Schauspielkunst aus

Das Iserlohner Parktheater-Publikum musste am Mittwoch die schlaglichtartige Szenenfolge von Simon Stephens Schauspiel „Harper Regan" erst einmal sacken lassen. Aber am Ende sparte es nicht mit dem verdienten Applaus für alle sechs Charakterdarsteller, die menschliche Abgründe, Gefühle wie Reue, Angst, Schuld und Selbstbetrug facettenreich spielten.
 
Das Stück um die Emanzipation der biederen Vorstadtbüro-Mamsell scheint Marion Kracht auf den Leib geschnitten zu sein. Als ihr Vater schwer erkrankt, lässt sie sich nicht länger von ihrem machtlüsternen Chef und den Zwängen ihres Alltags unterkriegen. Sie setzt sich über sein Verbot hinweg, in dieser Ausnahmesituation frei zu machen. Sie verlässt selbst den arbeitslosen Mann und die pubertierende Tochter ohne ein Wort, um den Vater zu besuchen, Leider kommt sie zu spät. Der Tod ihres Vaters löst bei der bisher in vielen Zwängen gefangenen Frau einen Wandlungsprozess aus: Sie rechnet mit ihrer Mutter ab, mit der sie seit Jahren im Clinch liegt. In einer Kneipe wird sie gegenüber einem Journalisten handgreiflich und klaut ihm die Lederjacke. Und dann lässt sie sich auch noch auf einen One Night-Stand mit einer Online-Bekanntschaft ein. Am Ende kehrt sie zum verlassenen Ehemann und der Tochter zurück und beichtet von ihrem Seitensprung. Kein Happy End im klassischen Sinne, zumal vieles offen bleibt. So etwa, wie es weiter geht mit der verschuldeten Familie, in der sie bis zu ihrem Ausbruch die Alleinernährerin war. Die ungewöhnliche Verwandlung der Hauptfigur Harper Regan lotete Marion Kracht mit großer Schauspielkunst aus. Andreas Patton überzeugte an ihrer Seite einmal als desillusionierter Ehemann und dann als schnoddriger Journalist. Kathrin Osterode spielte die pubertierende Tochter und die zickige Krankenschwester. Stark war auch Klara Höfels in der Rolle der exaltierten Mutter Alison Woolley. Simon Hatzl spielte den fiesen Chef ebenso glaubwürdig wie den Fremdgänger.
 
Regisseurin Sabine Mitterecker und Bühnenbildner Ralph Zeger konzentrieren sich auf die dichten Dialoge und auf sparsamste Mittel. Die brüchige Scheinwelt, in der Konflikte zumeist unter den Teppich gekehrt wurden, symbolisieren die Leuchtbuchstaben GLAM. Alles andere als glamourös sind die Beziehungen der Menschen untereinander, allen voran die gestörten Mutter-Tochter-Verhältnisse. Sie sind arm, oberflächlich und fassadenhaft. Die Drehtüren verdeutlichen die Wechselhaftigkeit des Lebens.
 
Von Cornelia Merkel - Iserlohner Kreiszeitung, 4.3.2011
 
   

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Marion Kracht im Widerspruch der Gefühle
„Harper Regan" spannend gespielt und sensibel inszeniert - Tolle Schauspieler

Eine Frau nimmt sich eine Auszeit. Für zwei Tage verlässt sie ihr tristes Dasein mit Ehemann, Tochter und ungeliebtem Job, um den todranken Vater zu besuchen. Sieht ihr Leben neu, kehrt zurück mit der lapidaren Erkenntnis „Man macht weiter." Die Frau heißt „Harper Regan" in dem gleichnamigen Stück des britischen Autors Simon Stephens, aufgeführt am Donnerstag im Theater.
 
Harper, so um die 40, war nie wirklich glücklich. Verkorkste Kindheit, Alleinverdienerin, seit ihr Mann Seth seinen Job verlor wegen Kinderporno-Verdachts. Der Vater ist gestorben, als sie in der Klinik eintrifft. Das Zusammentreffen mit ihrer Mutter ist von Kälte geprägt. Harper geht fremd mit einer Internet-Bekanntschaft. Eine traurige und auch zynische Geschichte. Hoffnung auf das, was noch kommt? Vielleicht, aber wohl eher nicht.
 
Sabine Mitterecker hat das Schauspiel sensibel inszeniert in einem Bühnenbild sich symbolisch drehender Wände (neue Wege, neue Orientierung?) von Ralph Zeger. Marion Kracht im Titelpart ist kühl zu Beginn, frustriert und sehr beherrscht, dann immer verstörter im Chaos widersprüchlicher Emotionen.
 
Das ist spannend gespielt und lässt auch den Partnern Marion Krachts Raum, sich darstellerisch zu profilieren: Andreas Patton in der Doppelrolle des Seth und eines schmierigen Journalisten, Kathrin Osterode als pubertierende Tochter, Simon Hatzl als kurze Sex-Affäre sowie Ionut Chiriac als junger Tobias, der unerwartet zärtliche Gefühle in Harper weckt. Ganz besonders Klara Höfels als exaltierte, zornige und verunsicherte Mutter.
 
(km) - Wolfsburger Allgemeine Zeitung, 19.2.2011
 
   

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Ein brillantes Ensemble

Da steht eine attraktive Frau erstmal völlig neben sich: Der berufliche Erfolg kollidiert mit dem schwierigen privaten Umfeld eines zur Hausmanntätigkeit verdonnerten Architekten, der als möglicher Pädophiler wegen auf seinem PC gefundener Kinderaufnahmen verurteilt und in England öffentlich geoutet wurde.
 
Natürlich leidet darunter auch die Tochter, die kurz vor der Aufnahme ihres Studiums steht und eher dem Vater als der Mutter zuneigt. Diese Harper Regan bricht aus ihrem Alltag aus, weil sie ihren im Sterben liegenden Vater noch einmal sehen möchte, aber zu spät im Krankenhaus ankommt. Der Bruch mit ihren Konventionen krempelt ihr Leben völlig um. Harper macht in zwei Tagen Abwesenheit von zu Hause Erfahrungen, die anderen für ein ganzes Leben reichen. Nach ihrer Rückkehr ist zu Hause nichts mehr so wie es war.
 
Simon Stephens verlangt mit seinem Schauspiel dem Zuschauer auf der turbulenten Reise durch Wechselbäder der Gefühle eine Menge ab. Aber trotz allem folgt das Publikum aufnahmebereit dem brillanten Spiel des Darstellersextetts, das teilweise mit Doppelrollen begeistert.
 
Da sind vor allem Andreas Patton als Harpers Ehemann Seth und aufgegeilter Mickey sowie Kathrin Osterode als Harpers Tochter Sarah und Krankenschwester Justine zu nennen.
 
Auch Simon Hatzl überzeugt sowohl als Harpers schmieriger Chef und Hobby-Callboy James. Ionut Chiriac als Teenie Tobias liefert solide Arbeit ab. Klara Höfels brilliert als Mutter Harpers zwischen Zuneigung und Boshaftigkeit so überzeugend, dass ich auf diese Verwandtschaft auch verzichten könnte.
 
Und da ist noch Marion Kracht. Die Zerrissenheit ihrer Harper Regan zwingt den Zuschauer zum Mitleben und -leiden. Man kann sich ihrer Wirkung nicht entziehen, selbst dann nicht, wenn sie am Ende die Familie zu spalten droht. Es ist schon sechs Jahre her, dass Marion Kracht in der Komödie "Die ist nicht von gestern" eine ganz andere Visitenkarte hier abgegeben hat, und davor mit "Gottes vergessene Kinder" brillierte. Ohne die Leistung des Ensembles schmälern zu wollen, bleibt ihre Harper Regan das tragende Element dieser Aufführung, die mit anhaltendem Applaus honoriert wurde.
 
Von Hartmut Engelbrecht - Wermelskirchener Generalanzeiger, 21.2.2011
 
   

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Aufflackernde Gier nach Leben, Liebe und Lust
Marion Kracht spielt Harper Regan als Frau mit widersprüchlichen Charakterzügen

Zum Glamour, zum Glanz also, fehlen drei Buchstaben. Die drei letzten! Die anderen stehen, mal aneinander gereiht, mal etwas weiter auseinander, auf der Bühne. Man mag diese Bühnenbau-Elemente unterschiedlich deuten. Eine Möglichkeit wäre, sie auf das Leben der Protagonistin zu transferieren. Harper Regan, die 41-Jährige aus der Nähe von London-Heathrow, mag einst vom Glanz geträumt haben, ihr derzeitiges Leben jedoch ist vorwiegend grauer Alltag.
 
Simon Stephens Stück „Harper Regan", mit einer Schauspielerin Marion Kracht, die widersprüchliche Charakterzüge der Hauptfigur darstellerisch sehr klar herauskristallisierte, wurde am Donnerstag im Theater aufgeführt. Eine Inszenierung von Sabine Mitterecker, die den alltäglichen Umgang in Beziehungen mit ihren Gewohnheiten und Resignationen, ihren emotionalen Brüchen und Zweifeln widerspiegelte.
 
Die aber auch Momente aufflackernder Gier nach Leben, Liebe und Lust ins Licht rückte. Eine Handlung zwischen Drama und Tragödie mit tragikomischen Spuren(elementen), die von einem Ensemble gespielt wurde, das den Figuren deutliche Konturen und kontextuelle Authentizität gab.
 
Zum Beispiel Andreas Patton. Er gab, als Harpers zweiter Ehemann Seth, einem arbeitslosen Architekten unter Pädophilie-Verdacht, gekonnt die charakterlichen Strukturen einer sich mehr und mehr gehen lassenden, wenig Hoffnung hegenden Person. Kathrin Osterode als Sarah Regan, eine intelligente und zielstrebige Tochter im Girlie-Outfit, focht drastisch und in jeder Phase überzeugend den Tochter-Mutter Konflikt mit Marion Kracht aus.
 
Die wiederum lief in der Auseinandersetzung mit ihrer Mutter, gespielt von Klara Höfels, zur Hochform beim Ausbruch der Frustrationen auf. Höfels war ihr in jeder Sekunde des aufwühlenden Geschehens ein kongeniales Gegenüber.
 
Der Aufbau der Geschichte, kurze Szenen und Dialoge mit Oberflächlichkeitscharakter ebenso wie mit aufrüttelnder Seelenpein, zog die Aufmerksamkeit der Zuschauer an sich und hielt die Spannung bis zum Schlussbild. Die Quintessenz der gefühlsmäßigen Hochs und Tiefs ist bittersüß: Harper Regan hat erkannt, dass sie mit ihrem widersprüchlichen Naturell der Tochter kein Vorbild sein kann, so wie es sich diese wohl von ihr erhoffte. Ihrem konsternierten Mann hat sie einen Seitensprung gebeichtet, und dennoch sagt sie ihm: „Ich bin froh, wieder bei euch zu Hause zu sein."
 
Fazit: Ein Stück, das den Betrachter nicht kalt lässt. Auch weil es von einem Ensemble umgesetzt wird, das Stimmungen stimmig wiedergibt.
 
Von Andreas Stolz - Wolfsburger Nachrichten, 19.2.2011
 
   

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Selbstzerstörung oder Selbstbefreiung?
Ensemble aus München überzeugt in Papenburg mit „Harper Regan“

Die Münchner „Theatergastspiele Kempf“ gastierten mit „Harper Regan“, dem neuen Stück des englischen Dramatikers Simon Stephens, im Papenburger Forum. Gaststar Marion Kracht bot eine starke Leistung. Sie spielte die Hauptfigur mit einer Mischung aus Entschlossenheit und Ratlosigkeit, Mut und Resignation, demonstrativer Selbstbehauptung und seelischer Selbstentblößung - und hielt die Figur dauerhaft in der Schwebe. Harper bleibt ein Rätsel bis zum Schluss.
 
Was geht im Kopf dieser 40-jährigen Frau mit dem merkwürdigen Vornamen Harper vor, die mit Mann und 17-jähriger Tochter in einem Londoner Vorort lebt? Die ihren Chef um Urlaub bittet, um ihren todkranken, geliebten Vater zu besuchen - und damit eine Kette von Ereignissen in Gang setzt, von denen man auch am Ende des Stücks nicht weiß, ob sie eine Selbstzerstörung oder eine Selbstbefreiung sind – oder nichts von beidem.
 
Ihr zudringlicher Chef (Simon Hatzl) verweigert ihr den Urlaub, ihr arbeitsloser und antriebsloser Mann und ihre verletzend selbstbewusste Tochter öden sie an. Sie geht einfach. Harpers „Weltfahrt“ dauert genau zwei Tage, die sie verändern und wieder nach Hause zurückbringen werden.
 
Die nächste in einer Reihe von Stationen zeigt Harper im Gespräch mit einem jungen Mann (Ionut Chiriac) in einer der knappen, sprachlich lakonischen Szenen, in denen mehr geschwiegen als geredet wird; und wenn geredet wird, dann oft Belangloses Aggressives oder Verletzendes. Beiden ist die Begegnung so peinlich, dass sich ihr Dialog in ratlosen Gesten erschöpft und sie sich nichts zu sagen haben außer dass der junge Mann seine Eltern hasst.
 
Damit ist ein Thema angeschlagen, das das Stück strukturieren wird: die zerrütteten Beziehungen zwischen Eltern und Kindern. Dies wird auf erschreckende Weise deutlich in der Episode Harpers mit ihrer Mutter: Der geliebte Vater ist tot; gestorben, ehe die Tochter eingetroffen ist, und diese sucht - widerwillig - ihre Mutter auf, auf die sie ihren ganzen Hass projiziert hat. Diese Szene ist der absolute Höhepunkt des Stücks. Ihre Mutter (grandios gespielt von Klara Höfels) als perfekt gestylte Dame, intelligent und rational bis zum Zynismus, trägt Harpers Hass mit Fassung und teilt ihr einige bittere Wahrheiten über ihren Vater mit. Unter anderem macht sie ihr glaubhaft, dass ihr Vater Harper immer für eine Versagerin gehalten habe. Und Harper selbst glaubt nun nicht mehr an die Unschuld ihres Mannes, der wegen Besitzes kinderpornografischer Fotos verurteilt wurde: Sie verliert alle Illusionen über die geliebten Menschen.
 
Peinliche Situationen
 
Harper ist zerstört. Wir finden sie in einer Reihe von ihr neuen und peinlichen Situationen wieder, denen sie sich bewusst aussetzt: morgens trinkend in einer Bar mit einem verkommenen, stinkenden Journalisten, der sie anmacht (Andreas Patton, der auch Harpers Mann spielt, in einer sehr starken Szene), später bei einem Internetdate mit einem unbekannten Mann, mit dem sie in einem Hotel Sex hat, dann wieder mit dem jungen Mann aus der dritten Szene, mit dem sie eine Beziehung anfängt - und dann wieder zu Hause, wo die exaltierte, vulgär aufdringliche Tochter (stark: Kathrin Osterode) ihr in offener Aggressivität ihre Verachtung ins Gesicht schreit und sich auf die Seite ihres Vaters schlägt: eine Spiegelung der Szene Harpers mit ihrer Mutter.
 
Nun ist alles auseinander geflogen, was Harper je geglaubt hat. Sie kennt nun alle Wahrheiten, die sie gesucht hat, aber sie erkennt auch, dass man ohne Zugeständnisse an menschliche Schwäche nicht leben kann. An diesem Wendepunkt existenzieller Einsamkeit trifft sie eine Entscheidung: Sie beichtet ihrem Mann alles, was sie erlebt hat, und bleibt bei ihm.
 
Das Stück überzeugte durch die Radikalität der Schilderung der menschlichen Beziehungen und durch die überragenden schauspielerischen Leistungen aller Akteure. Es wurde vom Papenburger Publikum mit großem Beifall aufgenommen.
 
Von Josef Ehl -Ems-Zeitung, 3.2.2011
 
   

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„Wir können so grausam sein!“
Marion Kracht spielt „Harper Regan” im Odeon

Ich muss für ein paar Tage nach Hause. Mein Vater ist krank. Ich muss ihn besuchen." Die bekannte Schauspielerin Marion Kracht steht als Engländerin Harper Regan auf der Bühne des Odeon-Theaters vor ihrem Chef. Der hört sich zwar an, warum ein paar Urlaubstage so wichtig sind, entscheidet aber: „Sie können jetzt auf gar keinen Fall frei bekommen." Doch Harper fährt trotzdem, verlässt für zwei Tage die gewohnte Umgebung und erlebt für kurze Zeit das Gefühl, ungebunden zu sein.
 
Dieser Ausbruch steht im Vordergrund des Schauspiels „Harper Regan" von Simon Stephens. Am Samstagabend gelingt es dem Tourneetheater Kempf, das kritische Stück meisterhaft aufzuführen. Die zahlreichen Gäste der sehr gut besuchten Vorstellung fühlen und zweifeln etwa zwei Stunden lang mit der sympathischen Harper.
 
Kurze Szenen
 
Vier deckenhohe Drehtüren aus hellem Holz bilden den Hintergrund. Durch sie treten die Darsteller auf und ab. In vielen kurzen Szenen, wie Schlaglichter, folgen Begegnungen zwischen Harper und ihren Mitmenschen. Stühle, Bürosessel und ein paar große Leuchtbuchstaben werden mit wenigen Handgriffen und einer veränderten Beleuchtung in Büro, Krankenhaus, Bar oder Wohnzimmer verwandelt. Vor Harper steht Kathrin Osterode in extrem kurzem Kittel und weißen Strumpfbändern als Krankenschwester. Sie verweigert Harper den Zugang zu ihrem Vater. Auch käme sie zu spät, da er bereits verstorben sei. Harper ist entsetzt und schluchzt: „Ich hab ihm nie gesagt, wie lieb ich ihn habe!" Ohne Rührung bemerkt die Schwester: „Das ist normal."
 
Großer Auftritt
 
In ihrer Verzweiflung sucht Harper in einem Pub nach Ablenkung. Später findet sie die auch in den Armen eines fremden Mannes.
Bei jedem Auftritt dominiert Kracht. Sie füllt die schwierige Rolle der Harper gekonnt aus. Dem Publikum wird schnell klar, dass das Leben der Angestellten in so festen Bahnen verläuft, dass ein Wechsel kaum möglich ist. Harper wirkt nach außen hin gefasst und beherrscht, doch in ihr brodeln Emotionen und Sehnsüchte. Die Mitmenschen haben kaum Verständnis für sie. So fragt ihre Mutter: „Hast du eine Midlife-Krisis?" Und sie fasst sich gleich wieder. „Nein, ich bin nur etwas durch den Wind." Harper steht unter Dauerspannung. Einem flüchtigen Bekannten vertraut sie an: „Wissen sie, was das Leben schwer macht? Reue und Angst und Schuld." Kaum zu Hause wird Harper von ihrer Tochter mit Vorwürfen überhäuft. „Wo bist du gewesen? Du bist egoistisch, gedankenlos und grausam." Ihrem Mann gesteht Harper die sexuelle Eskapade. Der nimmt das nur schweigend hin. „Wir benehmen uns wie Idioten. Wir können so grausam sein!", bricht es aus Harper vor. Der Vorhang fällt und das nachdenklich gestimmt Publikum spendet langen Beifall. Besonderen Applaus erhält Marion Kracht.
 
Goslarsche Zeitung, 14.2.2011
 
   

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Mit beiden Beinen im Leben und doch neben der Spur

Rheda-Wiedenbrück Harper Regan steht mit beiden Beinen im Leben und doch neben sich. Die 41-jährige Alleinverdienerin wohnt außerhalb Londons mit ihrem arbeitslosen Mann und der selbstbewussten Tochter, die ihr beide fremd werden. Erst als sie erfährt, dass ihr Vater im Sterben liegt und sie zu spät kommt, spürt sie die Unwucht in ihrem Leben.
 
So wirklichkeitsgesättigt und gegenwartsnah war Theater auf der Bühne des Ratsgymnasiums selten zu erleben wie in Simon Stephens „Harper Regan“. Trotz ungewohnt drastischer Tonlage kam das Stück um das richtige Leben im Falschen bei den Besuchern der zwei Vorstellungen gut an.
 
Regisseurin Sabine Mitterecker löckt lustvoll wider die Erwartungen an ein Tourneetheater. Die Ausstattung ist spartanisch: Eine Reihe von großen Drehtüren, durch die das durchweg glänzend besetzte Ensemble auf- und abgeht, bringen Bewegung und Wind in das verkrustete Leben der Harper Regan.
 
Bewusst spielt Marion Kracht mit ihrem Sonnenschein-Image, lächelt zunächst vergnügt zum bösen Spiel, um dann umso tiefer die Fallhöhe ihrer Figur auszuloten. Denn Harper Regan will nicht mehr funktionieren. Sie verlässt das vermeintlich sichere Gleis ihres bisherigen Daseins.
 
In verschiedenen Begegnungen wird sie sich in ihrer Beziehung zu ihren Nächsten bewusster. Da ist sie einem zarten Flirt mit dem 17-jährigen Tobias nicht abgeneigt, den Ionut Chiriac als zornigen Mann mit feinen Zwischentönen spielt. Klaut in der Bar dem zynischen und zudringlichen Journalisten Mick (aggresiv: Andreas Patton) die Lederjacke, Zeichen ihres neuen Selbstbewusstseins. Gesteht ihrem One-Night-Stand James (Simon Hatzl), dass ihr Mann arbeitslos ist, weil er badende Kinder heimlich fotografiert hat. Und erfährt von ihrer eleganten, aber nicht zimperlichen Mutter (großartig: Klara Höfels), dass auch ihr geliebter Vater kein Heiliger war.
 
Am Ende, als sie als Verwandelte nach Hause kommt und sich mit Tochter Sara (verletzlich und aggressiv: Kathrin Osterode) und Ehemann Seth (hier lethargisch: Andreas Patton) ausspricht, keimt leise Hoffnung auf. Ein Rezept für ein richtiges Leben aber, das kann sie so wenig der Tochter wie der Autor dem Publikum geben. Da muss jeder seinen eigenen Weg finden.
 
(gans) - Die Glocke, 16.2.2011
 
   

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Die innere Zerrissenheit
Theaterstück »Harper Regan« berührt die Zuschauer -- großartige Marion Kracht

Lübbecke (WB). Es ist paradox: Indem das Theater uns etwas vormacht, hält es uns den Spiegel der Wahrheit vor Augen. Wenn dieses Kunststück vollbracht wird, kann man von einer gelungenen Aufführung sprechen. Die erlebten die Zuschauer am Sonntag bei »Harper Regan«.
 
»Sie sind unentbehrlich.« Mit diesen Worten verweigert Harpers Chef (Simon Hatz) ihr den Urlaub, um den sie ihn gebeten hat, um ihren todkranken Vater besuchen zu können. Harper Regan (Marion Kracht) steht unter einem ungeheuren Druck zu funktionieren.
 
Seit ihr Mann (Andreas Patton) als Sexualtäter verdächtigt wurde, findet er keinen Job mehr, deshalb muss Harper die Familie über Wasser halten. Die Beziehung zu ihrem Ehemann ist von Zweifeln an seiner Unschuld belastet. Die Tochter (Kathrin Osterode) entzieht sich ihr zunehmend, mit ihrer Mutter (Klara Höfels) hat sie sich zerstritten. Harper hängt jedoch sehr an ihrem Vater und möchte ihn vor seinem Tod unbedingt noch einmal sehen. Als ihr nun der Urlaub verweigert wird, wagt Harper zum ersten Mal den Aufstand. Sie setzt ihren Job aufs Spiel und fährt zu ihrem Vater. Doch sie kommt zu spät: Er ist tot. Die Nachricht wirft Harper völlig aus der Bahn.
 
Sie lässt sich treiben, schwankt zwischen Verzweiflung, Zorn und Selbstvorwürfen. Zufällige Bekanntschaften mit völlig Fremden lassen sie ausbrechen aus ihrem bisherigen Beziehungskäfig. Ihnen gegenüber muss sie keine Rücksicht nehmen. Harper lernt, sich zu wehren. Und sie beginnt, sich zu verändern: Sichtbares Zeichen ist die Lederjacke, die sie nun trägt und die für sie zugleich neue Haut, Trophäe und Rüstung ist. Als sie schließlich nach Hause zurückkehrt, hat ihr Leben eine entscheidende Wende genommen.
 
Simon Stephens‘ Schauspiel »Harper Regan« verlangte einiges von den Zuschauern. Die Charaktere waren keine reinen Sympathieträger. Das Stück war trotzdem wie aus dem Leben gegriffen. Es handelte von Höhen und Tiefen, von »echten« Menschen in ihrer Zerrissenheit und in ihren alltäglichen Zwängen.
 
Das war Theater, das die Zuschauer berührte. Vor allem deshalb, weil ein ausgezeichnetes Ensemble auf der Bühne stand, allen voran die großartige Marion Kracht: Schnörkellos, sehr direkt und von unglaublicher Intensität verkörperte sie die Harper Regan, die langsam erkennt: »Wissen Sie, was einen fertig macht? Reue und Angst und Schuld. Wir machen uns schuldig, wenn wir uns etwas vormachen.«
 
Die ganze Aufführung war stimmig bis in die Auswahl der Musik und das spartanische, enorm wirkungsvolle Bühnenbild. Es war ein Abend, der bewegte und nachdenklich machte.
 
Von Cornelia Müller - Westfalen-Blatt, 8.2.2011
 
   

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Alltag adieu
Toller Theaterabend: Marion Kracht als Harper Regan

BORKEN. Einen durchweg anspruchsvollen und spannenden Theaterabend erlebte das Borkener Publikum am Donnerstag. Das Psychodrama „Harper Regan" forderte dem Betrachter Konzentration ab, nicht ohne auch Momente des Schmunzelns zu entlocken.
 
Neben dem einfachen, jedoch faszinierend effektvollen Bühnenbild (riesige, drehbare Türelemente untermalten die Gefühlslage der Figuren) wurde die Bedeutung der vier großen Buchstaben, die immer wieder in die einzelnen Szenen integriert wurden, allmählich klarer: GLAM - hier zeigte sich eine Welt des Scheins und der Äußerlichkeiten, mit der sich die titelgebende 41-jährige Protagonistin plötzlich auseinandersetzen muss. Im Laufe des Stückes gelingt es ihr, sich aus den Trümmern ihrer Existenz zu befreien.
 
Harper Regan (Marion Kracht) hat 34 Wochen ohne einen freien Tag gearbeitet, die Beziehung zu Mann und Tochter ist gestört. Ihren im Sterben liegenden Vater besucht sie ohne die Zustimmung des Chefs und ohne das Wissen von Ehemann und Tochter. Sie kommt allerdings zu spät - der Vater ist bereits gestorben. Dies löst im Folgenden die Befreiung, den Wendepunkt, aus. Ihr begegnen irritierende Gestalten, die sie erkennen lassen, dass sie nicht mehr bereit ist, nur zu funktionieren. So bricht sie schließlich aus ihrem Alltagstrott aus und hört auf, sich zu verleugnen. Am Ende begegnet sie ihrem Mann aufrichtig und völlig neu.
 
Allen Akteuren, von denen einige zwei Rollen spielten, gelang es, die verschiedenen Charaktere authentisch darzustellen, wobei Andreas Patton ausdrucksstark die Doppelrolle des desillusionierten Ehemannes sowie des zweitklassigen Macho-Journalisten Mickey spielte. Marion Kracht bewegte sich mit schauspielerischer Sicherheit durch alle Szenen. Es war gerade die eher unscheinbare Beständigkeit, in der Wut und unterdrückte Gefühle leise aufkeimen, die aber am Ende doch zum Ziel führt, die sie die Rolle der Harper so glaubwürdig verkörpern ließ. Diese Reise auf dem Weg zur Wahrheit wird man sicher so schnell nicht vergessen. Prädikat wertvoll.
 
Von Dorothea Koschmieder - Borkener Zeitung, 12.2.2011
 
   

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Unsentimentale Odyssee
Schauspiel „Harper Regan" mit ausdrucksstarker Marion Kracht in der Lübbecker Stadthalle

Lübbecke. „Ich blicke auf mein Leben zurück und denke - diese Momente, über die ich nicht nachgedacht habe. Die Momente, in denen ich darauf gewartet habe, dass mein Leben beginnt. Die ganz normalen Momente. Die lähmenden Momente der Banalität. Da habe ich nicht auf mein Leben gewartet. Das war mein Leben."
 
Eine ernüchternde Erkenntnis steht im Zentrum der weiblichen Hauptfigur von „Harper Regan", einem Schauspiel des englischen Gegenwartsautoren Simon Stephens: Es sind nicht die Erwartungen und Hoffnungen, die den Sinn ausmachen, sondern der Aufbruch, sogar das Scheitern und die Desillusionierung und am Ende das Anerkennen von Irrwegen, Schwächen und Fehlern.
 
Alles ist Mittelmaß an dieser Harper, gespielt von Marion Kracht: Ihre Ehe, ihre Wohnung in einem trostlosen Londoner Vorort, ihre Arbeit bei einem Spediteur - lediglich die leicht punkige Aufmachung ihrer jugendlichen Tochter fällt aus dem Rahmen. Als ihr Vater im Sterben liegt, beschließt sie, nach Manchester zu reisen, um ihn noch einmal zu sehen, doch es ist zu spät.
 
In dem Reigen von Szenen, die nur durch die Hauptfigur zusammengehalten werden, dominiert die Beziehungslosigkeit. Da ist der junge Mann, neben dem sie nachts auf der Brücke steht, die dümmliche kleine Krankenschwester oder der übers Internet organisierte One-Night-Stand im Hotel.
 
Hervorragend an der Inszenierung der Theatergastspiele Kempf unter der Regie von Sabine Mitterecker war das ratlose Nebeneinander der Protagonisten, in dem aber auch eine Chance zu spüren war - die Ehrlichkeit. Zuletzt kehrt Harper zu ihrem Mann zurück, der zuvor Schuld auf sich geladen hat. Der Abgrund, an dem sie gestanden hat, gibt ihr jetzt eine andere, mildere Perspektive.
 
Äußerst passend auch das Bühnenbild mit den fünf großen Schwingtüren, die effektvoll eingesetzt wurden, um das vordergründige Geschehen abzubrechen, Nebensächliches auszublenden, aber auch einen Faden wieder aufzunehmen, indem die Akteure wieder hereinkamen. Die manchmal heftig aufgestoßenen Türen ließen die klaffende Schwärze des Hintergrunds aufblitzen, die sich nur langsam schloss.
 
Marion Kracht war die ausdrucksstarke Sympathieträgerin des Abends. Sie spielte die Harper auf einer Klaviatur von unsicher, tastend bis aufbegehrend, mit gelegentlichem frechen Charme und zeigte, dass sie auch den Bühnenraum einnehmen kann. Die anderen Rollen waren teilweise doppelt besetzt, was der Absicht des Autors entspricht. Es glänzten Kathrin Osterode mit jugendlicher Präsenz als Tochter und Krankenschwester, Klara Höfels als unerträglich bigotte Mutter in überzogen ladyliker Aufmachung. Schlaksig und cool präsentierte sich Andreas Patton als Ehemann und Kneipennachbar, konservativ und glatt Simon Hatzl als Chef und Lover. lonut Chiriac hatte nur eine Figur darzustellen, was er überzeugend tat: die des Jugendlichen, der Halt und Orientierung verloren hat. Der Blick auf die Handelnden war streiflichtartig, sie wurden nicht beurteilt, und das gab dem Stück den Atem der Gelassenheit.
 
Von Christiane Tietjen - Neue Westfälische, 8.2.2011
 
   

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Eine emotionale Achterbahnfahrt

Emmerich. Zwischenmenschliche Beziehungen unterschiedlichster Art und im Mittelpunkt eine Frau, die aus ihren Alltagszwängen herausgerissen wird und durch sehr unterschiedliche Erfahrungen ein neues Leben beginnt, gaben den vielen Zuhörern im ausverkauften Stadttheater reichlich Gelegenheit zum Nachdenken. Marion Kracht als Harper Regan im gleichnamigen Stück von Simon Stephens drückte mit ihrem ausdrucksvollen Spiel neben ihrem guten Team dem Schauspiel ihren Stempel auf.
 
Stephens lässt die Geschichte in einer Familie in einer Industriestadt Mittelenglands spielen – sie könnte genau so gut in einer deutschen Stadt zu beobachten sein. Das Verhältnis zwischen Vater, Mutter und Tochter und Harpers Eltern ist nicht das beste. Harper „funktioniert“. Sie macht alles im Hause, sorgt für den Lebensunterhalt, versorgt den arbeitslosen Ehemann usw. Die Szenen mit ihrer Tochter Sarah (Kathrin Osterode) und ihrem Ehemann Seth (Andreas Patton) spiegeln sehr realistisch den täglichen „Schlagabtausch“ wider. Im Stillen seufzt sie: „Ich wünschte, ich wüsste mehr über die Welt!“ Da erfährt Harper, dass ihr Vater im Sterben liegt. In großer Panik verlässt sie Arbeitsstätte und Familie ohne sich abzumelden, und kommt doch zu spät. Der unerwartet große Schmerz führt zu einer großen Veränderung in ihrem Innern.
 
Sie tut das, was bisher für sie undenkbar war. Zunächst flirtet sie noch unsicher und mitunter verlegen mit dem 17-jährigen Tobias (Ionut Chiriac) – sehr überzeugend echt von Beiden gespielt –, dann sagt sie einem Journalisten, der sich etwas zu direkt nähert, sehr schlagkräftig ihre Meinung. Die Nacht verbringt sie dann mit James (Simon Hatzl) in einem Hotelzimmer. Kurz darauf lernt man Harper als Tochter einer lebenslustigen Mutter (Klara Höfels) kennen. Diese ist bemüht, mit ihrer Tochter wieder ins Reine zu kommen. Doch das ist schwer.
 
All diese Szenen verlangen eine ständige Neuorientierung der Hauptdarstellerin. Marion Kracht gelingt es hervorragend.
 
Wieder zu Hause angekommen, wird sie trotz der Vorwürfe, nichts gesagt zu haben, gerne empfangen. Sie hat viel erlebt, nachgedacht und gesteht ihrem Mann: „Ich habe an dich gedacht und bin froh, dass ich zurückgekommen bin.“ Neben dem Spiel der Schauspieler gefielen an diesem Abend auch andere Beobachtungen. Der Hintergrund der Bühne bestand aus mehreren Drehtüren – sicher ein Symbol für die Wechselhaftigkeit des menschlichen Lebens. Und „GLAM“ (glamourös) als Leuchtreklame? Wohl nicht typisch für Industriestädte!
 
Das 2008 bei den Salzburger Festspielen aufgeführte Schauspiel ist letztlich ein Stück über die Liebe mit negativen wie positiven Facetten.
 
Von Hans Wimmers - Der Westen, 13.2.2011
 
   

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Die Häutung der Harper Regan
Gelungene Aufführung mit gutem Ensemble / Marion Kracht in Titelrolle

Eine Frau verlässt das Hamsterrad ihres Lebens. Olpe. Harper Regan funktioniert. Hat sie immer. Bis jetzt. Ihre gar nicht so breiten Schultern tragen schwer. Sie sorgt für den Unterhalt der Familie, bringt ihren arbeitslosen Mann durch, sichert die Ausbildung der Tochter. Die Frau, Anfang 40, ist mitten drin im Hamsterrad des Lebens. Bis sie außer Tritt gerät. Das ungeklärte Verhältnis zu ihren geschiedenen Eltern sie einholt. Ihr Vater liegt im Sterben...
 
Mit viel Gespür auch für die kleine Geste spielt Marion Kracht die Titelfigur des Stücks von Simon Stephens. Bei der ersten Begegnung mit ihr traut es ihr der Zuschauer kaum zu, dass sie aus ihren Zwängen ausbricht. Garniert mit sexuellen Eindeutigkeiten lehnt ihr Chef Elwood Barnes (Simon Hatzl) ihren Wunsch nach Urlaub ab.
 
Zu Hause läuft vermutlich "same procedere" wie jeden Tag. Gatte Seth (Andreas Patton) schmeißt den Haushalt, nicht ohne für die von der Arbeit erschöpfte Harper noch einiges übrig zu lassen, und hört Tochter Sarah (Kathrin Osterode) zum Thema Gletscher ab. Und die sind bekanntlich eine träge Masse - bis sie ins Rutschen kommen. Was neben den Darstellern passt, sind die Kostüme von Miriam Aksoy und Ralph Zeger: der Daddy trägt den uniformen Schlabberlook der Indoor-Jogging-Fraktion, und das Töchterchen im Skelett-T-Shirt hat die obligatorischen Kopfhörer über die Lauscher gestülpt. Leben in den Vororten. In diesem Fall nahe London. Wieso musste man bei Harper Regan immer an Marianne Faithfulls Version von "The Ballad Of Lucy Jordan" denken?
 
In diversen Szenen schickt Regisseurin Sabine Mitterecker die Frau um die 40 auf eine spannende Reise, die in der Vergangenheit beginnt. Zurück in Manchester, das sie verlassen haben, weil Seth wegen eines Sexualdeliktes Probleme bekommen hat, ist ihr Vater seiner Krankheit erlegen. Ohne Wissen ihrer Familie und ihres Chefs in der alten Heimat gelandet, beginnt die Häutung der Harper Regan. In einem Pub baggert sie Mickey (Andreas Patton) an, um sich anschließend per Internet mit einem Lover (Simon Hatzi) für schnellen Sex zu verabreden.
 
Ein schöner Einfall, diese Rollen inklusive der Krankenschwester (Kathrin Osterode) mit den gleichen Darstellern zu besetzen. Nur das Verhältnis der handelnden Personen hat sich geändert. Harper trägt die von Mickey gestohlene Lederjacke wie eine Fahne der Befreiung. Das Bühnenbild mit seinen Drehtüren von Ralph Zeger symbolisiert viele Ausgänge, Ein- und Zugänge. Kreuzungen des Lebens.
 
Neben Kracht gibt es noch zwei, die nur eine Rolle spielen. Das ist einmal Ionut Chririac, der herrlich lakonisch den 17-jährigen Tobias Rich gibt, der Harper mit seiner jungenhaften Unbekümmertheit verzaubert Einen ganz starken Auftritt, den das Publikum in der Olper Stadthalle mit viel Applaus bedenkt, hat Klara Höfels als Harpers Mutter, die exaltiert, lebensfroh und ehrlich rüberkommt. Es fällt Harper schwer zu akzeptieren, dass nicht ihre Mutter, sondern ihr Vater ihren Mann Seth, der kleine Mädchen auf dem Spielplatz fotografiert hat, für schuldig gehalten hat. Dabei ist sie sich in Seths Fall selbst nicht sicher...
 
Es gab viel Beifall für das richtig gute Ensemble der Theatergastspiele Kempf, dessen Aufführung mit kleinen ironischen Anspielungen gespickt war. An einem alles andere als perfekten Tag singt Lou Reed "Perfect Day", und in Leuchtbuchstaben erstrahlt der Begriff GLAM, dabei ist das Leben in den Vororten bekanntlich alles andere als glamourös. Auch wenn im Finale der Mutter-Tochter-Kampf zwischen Harper und Sarah aufflackert, so macht doch die Ehrlichkeit von Harper Regan Mut für die Zukunft im Dickicht der Großstädte.
 
bö - Siegener Zeitung, 29.1.2011
 
   

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Eine Charakterrolle für den Serienstar Marion Kracht
Schauspielerin überzeugt in "Harper Regan" von Simon Stephens

LEHRTE. Eine Frau in den Vierzigern, der immer noch etwas Mädchenhaftes anhaftet und deren Natürlichkeit sie zum Lieblingsstar vieler Fernsehserien macht, diese Marion Kracht zeigte sich in einer sehr persönlichen Charakterrolle am Donnerstagabend dem Publikum im Kurt-Hirschfeld Forum.
Das Schauspiel "Harper Regan" von Simon Stephens legt die Lebenssituation einer Frau offen, die mit ihrer Familie in einem Londoner Vorort lebt und für deren Überleben allein verantwortlich ist. Eingesperrt in die Zwänge der Existenzsicherung und unter dem emotionalen Druck, für Tochter und Mann da sein zu müssen, bleibt sie selbst auf der Strecke. Erst die Verzweiflung über den Tod ihres Vaters lässt sie ausbrechen.
 
Stephens schickt seine Protagonistin auf eine Reise, auf der unausgesprochene Wünsche lebendig werden. In einer Bar trifft sie auf einen Journalisten mit Macho-Gehabe und Lederkleidung. "So eine Lederjacke habe ich mir schon immer gewünscht'', stellt Harper verwundert fest und reagiert plötzlich mit Gewalt auf seinen Annäherungsversuch. Die Jacke behält sie, sie wird zum Symbol für ihren Weg, auf dem sie sich fest vorgenommen hat, nicht mehr zu lügen - das tun zu viele. Als burlesker Gegenpart erscheint die Rolle von Harpers Mutter. "Ich gebe mir doch die allergrößte Mühe", lamentiert sie mit verzweifelten Gesten, die spontanen Applaus hervorrufen, aber ihre nach Wahrheit suchende Tochter nicht versöhnen können.
 
Viel Applaus auch am Ende für Marion Kracht, die mit ihrer weichen Modulation die britische Härte entschärft und die Figur umso näher an das Publikum heranrückt.
 
Von Susanne Hanke - Anzeiger für Lehrte, 15.1.2011
 
   

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Hervorragende Akteure
Marion Kracht in "Harper Regan" anspruchsvoll und sehenswert

Theater der Lennestadt - MEGGEN. Solange alles unter den Teppich gekehrt wird, steht die Fassade. Erhält sie einen Riss, kann ein ganzes Lebensgebäude ins Wanken geraten. "Harper Regan" entließ die Zuschauer nachdenklich.
 
Bisher hatte die intelligente Harper Regan prima funktioniert, ihren arbeitslosen Mann und die pubertierende Tochter (lebhaft und lebensecht aufmüpfig: Kathrin Osterode) ernährt. Erkrankung und Tod ihres Vaters riss Wunden auf, ließ sie ihr bisheriges Leben in Frage stellen. Mit der Mutter hatte sie sich überworfen, dunkles Licht auf die Ehe warf ihr Mann Seth (depressiv, wie gelähmt: Andreas Patton) als verurteilter Sexualstraftäter. Mit Seth sprach sie nicht über dieses heikle Thema. wusste nicht, was und wem sie glauben sollte: das eheliche Verhältnis war freundlich-distanziert.
 
Menschliche Kälte verbreiteten ihr Chef (Simon Hatzl) und die vornehm gekleidete, aber in ihren Gesten burschikose Mutter (KIara Höfels). Marion Kracht als Harper gab sich ihm aber auch ihrer Mutter gegenüber zurückhaltend, gehemmt. Ganz klein und verzweifelt klang ihre Stimme beim oftmals wiederholten Satz: "Ich hab' Vater nie gesagt, wie lieb ich ihn habe".
 
Verändert wurde sie durch die Begegnung mit Fremden, wie dem 17jährigen nach außen hin coolen und innerlich warmherzigen Tobias (Ionut Chiriac). In ihrem Schmerz begegnete Harper dem zudringlichen, antisemitistisch eingestellten Mickey (Andreas Patton) und James (Simon Hatzi), einem Blind Date, dem sie ihr Herz öffnete: "Das (mit Seth) hab ich noch nie einem Fremden erzählt". Dann kehrte sie zurück, berichtete alles. - Wie wird es weitergehen? Ende offen.
 
Elf szenische Stationen bewirkten Harpers Persönlichkeitsänderung im Zeitraffer von zwei Tagen - das ist eben Theater. Trotzdem ist das intensive Stück mit ausnahmslos hervorragenden Charakterschauspielern, allen voran Marion Kracht in der Rolle der Sensiblen, in die Ecke Gedrängten, die aber auch andere Seiten, nämlich verruchte, an sich entdeckte, anspruchsvoll und sehenswert.
 
(jul) - Westfalenpost, 15.1.2011
 
   

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Grotesker Befreiungsschlag

Genau wie in ihre biedere Bürobluse zwängt sich Harper Regan, Anfang 40, Ehefrau, Mutter und Büroangestellte, in ihren monotonen Alltag. Sie funktioniert. Harper Regans Ausbruch verkörperte in der Stadthalle Gersthofen Marion Kracht, bekannt aus TV-Produktionen wie "Die Drombuschs". Nach dem Tod ihres Vaters verbringt Harper eine Nacht mit einem wunderlichen Fremden (Simon Hatzl) im Hotel. Ihm beichtet sie die pädophile Neigung ihres arbeitslosen Mannes (Andreas Patton). Sie riskiert durch ihr unkontrolliertes Abtauchen aus ihrem Leben, ihren Arbeitsplatz zu verlieren. Trotz sprachlicher Unüblichkeiten des Schauspiels von Simon Stephens gelingt den Akteuren, ein Panorama der menschlichen Abgründe schonungs- und schnörkellos auf die Bühne zu bringen. Dazu trägt das Bühnenbild mit hölzernen Drehtüren bei, die die Protagonisten während der Inszenierung häufig temperamentvoll zum Schwingen bringen und damit ihrem Gefühlsleben Ausdruck verleihen. Skurril aber passend sind die vier Leuchtbuchstaben, die das Wort "Glam" bilden, sowie die aufreizende Krankenschwester (quirlig, kokett: Kathrin Osterode) mit knallroten Stiefeletten und Lippenstift. Überzeugend bis hin zur Groteske zeigt Harper im Verlauf des Stücks die menschlichen Abgründe, die aus alltäglicher Verdrängung wachsen, und hält dem Publikum, später wild und provokativ in Lederkluft, einen Spiegel vor. Wer bin ich? Was will ich? Wo ist mein Platz? Obwohl die Antiheldin letztendlich wieder bei Mann und Tochter landet, zeigt die Konfrontation mit vertuschten Grausamkeiten eine Entwicklung. Themen wie Moral, Angst, Schuld, Sexualität und Reue münden durch die gewonnene Distanz in einen Befreiungsschlag. Ob dieser einen tatsächlichen Lebenswandel herbeiführt, wird am Ende geschickt offen gelassen.
 
Von Vanessa Duldner - Augsburger Allgemeine, 18.1.2011
 
   

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